Anmerkungen zur Schärfentiefe
Wie die Schärfentiefe berechnet wird, leitete ich her. Welche Relevanz hat die Schärfentiefeformel in der Praxis? Wie gehe ich damit um?
Vereinfachung
Die Schärfentiefeformel ist eine grobe Vereinfachung der Gegebenheiten:
- Sie unterstellt eine geometrische Konstruktion, die so in der Praxis nicht existiert: Von einem Gegenstands"punkt" wird kein Bildpunkt erzeugt. Für die Schärfentiefe von Belang sind die projizierten Bildflächen, hervorgerufen durch theoretische Gegenstandspunkte vor und hinter der eingestellten Entfernung ("Kegelschnitte" mit der Sensorfläche/Filmfläche). Deren Größe entsprechen nicht der Berechnung:
- Objektive (Linsensysteme) haben optische Fehler und bilden Flächen mit anderen Abmessungen ab als berechnet. Die optischen Fehler unterscheiden sich von Objektiv zu Objektiv.
- Eine projizierte Fläche ist auf dem "fertigen" Sensorbild/Filmbild unterschiedlich groß je nach Sensoreigenschaften/Filmeigenschaften. Variablen sind insbesondere der Sensortyp/Filmtyp, der technische Entwicklungsstand, der ISO-Wert und wie die Projektion "festgehalten" wird: Beim Sensor das Auslesen der Pixel, beim Film die Entwicklung. Einflüsse sind beispielsweise das "Sensorrauschen" und sonstige Fehler in der Analog-/Digitalwandlung, bei der Filmentwicklung die benutzten Chemikalien, die Temperatur der Entwicklerflüssigkeit, die Bewegung, das heißt, wie der Entwickler den Film "umspült, berührt".
- Die Formel berücksichtigt die Praxis nicht:
- Die Objektivachse muss/wird nicht exakt senkrecht zur Sensor-/Filmebene stehen
- Sensor und insbesondere Film müssen keine Ebene sein, das Objektiv wird aufgrund seiner optischen Fehler eine Gegenstandsebene als gekrümmte Bildfläche darstellen
- Beleuchtungs- und Motivkontrast und wie das Objektiv diesen wiedergibt, fehlen in der Formel. Bei hohen Kontrasten wirkt das Bild schärfer.
- Ungenauigkeiten: Ich kann die Entfernung falsch einstellen oder der Autofokus arbeitet nicht richtig, ich kann verwackeln, das Motiv verursacht Unschärfe durch Bewegung.
- Wie uns das Bild dargeboten wird, ist "verwurstet" in einer einzigen Variablen: Dem Zerstreuungskreisdurchmesser. Damit sollen abgegolten sein: 1. Die Größe von Sensor und Film und deren damit verbundene vermutliche Vergrößerung des Bilds; 2. Der Abstand, aus dem wir die Vergrößerung betrachten; 3. Wie scharf wir sehen; 4. Alles weitere. Schon wie die Vergrößerung entsteht, hat signifikante Auswirkungen auf die Schärfe(ntiefe): Beim Film und Ausbelichten von Digitalfotos die Qualität des Vergrößererobjektivs/Fotopapiers und die Entwicklung des Fotopapiers, beim Sensor die Verarbeitung der Rohdaten. Bei Digitalbildern ist von Bedeutung, ob diese ausgedruckt/-belichtet werden oder auf Bildschirmen betrachtet: In allen Fällen gibt es zahlreiche Variablen, nicht zuletzt, wie hell die Beleuchtung/Durchleuchtung ist und die Einflüsse der Umgebung, in der wir das Bild anschauen. Häufig vergrößere ich nicht das komplette Bild, sondern nur einen Ausschnitt. Zuletzt sagt mein Gehirn mir, ob mir die Schärfe ausreicht, von Bedeutung sind das Motiv, meine Erwartungen/Kenntnisse an/über Schärfe und wie gut meine Augen/Brille/Kontaktlinsen sind, wie ich in Form bin.
- Der Fotograf kennt in der Regel weder die oben aufgeführten Variablen noch Variablen, die in die Formel einfließen könnten und sollten: Wo die Hauptebenen des benutzten Objektivs liegen, den Hauptebenenabstand, die tatsächliche Brennweite bei der aktuellen Entfernungseinstellung, falls das Objektiv über eine Innenfokussierung scharfgestellt wird.
Ich könnte eine noch kompliziertere Formel herleiten, aber das bringt wenig, da die Genauigkeit der eingesetzten Werte unpräzise sein wird. Außerdem ist die aktuelle kompliziert genug.
Wie nützlich ist die Schärfentiefeformel?
Ich könnte resigniert sein wegen der Ungenauigkeiten und auf die Schärfentiefeformel verzichten. Deren Herleitung ist trotzdem von Gewinn: Ich verstehe, wie die Schärfentiefe entsteht und wie ich sie interpretieren kann. Vor allem liefert sie mir grobe Richtwerte. Ich weiß, bei Nahaufnahmen schrumpft die Schärfentiefe auf Zentimeter bis Millimeter und kann nachschauen oder berechnen lassen, ab welchen Entfernungen ich bei welchen Blenden Zentimeter erwarten darf, ab welchen Millimeter. Ich kann ungefähr abschätzen, wie sich ein kleinerer Sensor auf die Schärfentiefe auswirkt.
Ich erwarte keine genauen Werte. Ich bin auch nicht motiviert, endlos lange über die Schärfentiefe (-Formel) und Beispiels-Szenarien zu diskutieren, deswegen schreibe ich diesen Artikel. Hauptsächlich will ich Bilder fotografieren, mit denen ich zufrieden bin und zu deren Verbesserung tragen solche Diskussionen nicht bei, sie sind eine andere Art der Freizeitbeschäftigung.
Wie gehe ich in der Praxis vor?
In der Praxis gehe ich intuitiv vor, ich denke nicht (lange) über die Blende nach. Fotografiere ich ein Motiv in bestimmter Größe, stelle ich aus Erfahrung eine bestimmte Blende ein. Die Erfahrung resultiert aus früheren Erfolgen und Fehlschlägen, bei denen eine ähnliche Situation unbefriedigende Bilder lieferte mit zu großer oder zu kleiner Schärfentiefe.
Will ich auf jeden Fall einen bestimmten Bereich in der Schärfentiefe abbilden, fotografiere ich eine Bildserie mit unterschiedlichen Blenden und suche mir das Bild aus, das meinen Ansprüchen genügt. Damit habe ich ohne Rechenarbeit alle für mich relevanten Variablen berücksichtigt, die ich unter den aktuellen Gegebenheiten beeinflussen kann, unter anderem auch die oben nicht beschriebene abnehmende Allgemeinschärfe bei kleineren Blenden aufgrund der zunehmenden Beugungsunschärfe. Für eine Blendenreihe spricht auch, dass wohl niemand vorher genau sagen kann, welche Blende das "ideale" Resultat liefert, es gibt technische Variablen jenseits einer praxistauglichen Berechnung, die die Bildästhetik beeinflussen, beispielsweise das Bokeh und Variablen, die es wohl nie in einer praxistauglichen Formel geben wird, wie jene: Wofür benutze ich das Bild?
Als "bildnerischer" Fotograf brauche ich nur ungefähr zu verstehen, wie Blende, Brennweite und Entfernung zum Motiv die Schärfentiefe beeinflussen, die anderen zahlreichen Variablen verwirren mehr, helfen mir nicht in der Praxis. Habe ich genügend Erfahrung, stelle ich automatisch eine Blende ein, die "in Ordnung" ist. Falls mir das Bild gefällt, ist es nicht "ungeheuer wichtig", dass vielleicht eine andere Blende ein "besseres" Bild erzielt hätte. Die (erforderliche) Erfahrung gewinne aus der Analyse meiner Bilder, was dank der EXIF-Daten heute sehr viel bequemer ist als zu "Analogzeiten". Ich sehe dann: Blende 8 reichte hier nicht aus. Das nächste Mal fotografiere ich ein Motiv mit diesem Objektiv bei ähnlichem Abbildungsmaßstab zusätzlich mit Blende 11 und 16. Oder: Bei jenem Porträt ist der Hintergrund zu scharf. Das nächste Mal fotografiere ich zusätzlich Bilder mit Blende 5,6 und 4 und schaue, ob diese mir besser gefallen.
, 20.10.2011.