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Kommentare (Essays)

Bessere Bilder mit Film?

Obwohl der Film längst ein Nischenprodukt ist, lese ich hin und wieder, dieser trüge dazu bei, besser zu fotografieren. Ich untersuche hier die Plausibilität geläufiger Begründungen. Da ich ein viertel Jahrhundert – von 1981 bis 2005 – als Hobby Negativ- und Diafilme belichtete, diese auch entwickelte und vergrößerte, kenne ich mich einigermaßen damit aus.

Begründung: "Ich bin gezwungen, mich mit der Belichtung auseinanderzusetzen"

Viele der mir bekannten Fotografen stellten an ihrer Kamera eine Belichtungsautomatik ein und wussten wenig über die Eigenschaften der Filme und deren Verarbeitung. Es reicht in der Regel, zu wissen, wann und wie die Belichtungskorrektur oder der Messwertspeicher zu benutzen sind. Wer will, kann auch an Analogkameras ausschließlich eine Programmautomatik einstellen.

Natürlich ist es besser, die Eigenschaften der Filme zu kennen und in der Regel manuell zu belichten. Das gleiche gilt jedoch auch für die Digitalfotografie, insbesondere da die Kamerabelichtungsmesser noch nicht optimiert sind für die Eigenschaften der Sensoren, sie erzielen kein maximal rauscharmes Bild (Expose to the Right).

Verglichen mit der Analogfotografie ist die Digitalfotografie wesentlich komplexer. Ich sollte wissen, wie Sensoren Bilder aufzeichnen, wie RAW-Daten nach RGB konvertiert werden, mich auskennen mit Farbmanagement, der Bildspeicherung, der Datensicherung, den zahlreichen Möglichkeiten der digitalen Bildbearbeitung, den vielfältigen Varianten der Bildpräsentation wie Papierausdrucken, digitalen Bildschauen, Veröffentlichen im World Wide Web, Produzieren von Fotobüchern.

Im Gegensatz zu früher kann und sollte ich erheblich gezielter und öfter eingreifen in den Prozess vom Betätigen des Auslösers bis zum Präsentieren des Fotos.

Begründung: "Mit dem Film überlege ich vorher, ob ich ein Bild fotografiere und knipse nicht gedankenlos darauf los"

Die Begründung baut darauf: Filmbilder kosten viel mehr Geld als Digitalbilder, deshalb werden weniger Bilder mit Film fotografiert. Dies ist sicher wahr. Es bedeutet jedoch nicht, dass mit Film überlegter fotografiert wird. Bevor ich mich Anfang der 1980er-Jahre intensiver mit der Fotografie beschäftigte, fotografierte ich zwar wenig, aber ziemlich ausnahmslos alle Fotos waren üble Knipsbilder.

Die wichtigste Bedingung für gute Bilder ist, dass ich mich intensiv mit dem Motiv beschäftige. Ab einem gewissen Fähigkeitsgrad ist praktisch jedes Bild, das ich achtsam fotografiere, kein übles Knipsbild, sondern das Resultat vieler bewusster und unbewusster Gedanken. Fotografiere ich mehrere Bilder des gleichen Motivs, zeigen diese es verschieden interpretiert, manchmal sind die Unterschiede subtil, manchmal offensichtlich.

Die Digitalfotografie ist ein Gewinn: Ich probiere mehr aus, jeder Versuch ist wohl überlegt. Ein bekannter Spruch lautet: Übung macht den Meister. Die sofortige Anzeige des Bilds hilft mir, besser zu fotografieren und weniger Ausschuss mit nach Hause zu bringen. Misslungenes lösche ich gleich nach einem Blick auf das LC-Display und gehe es erneut geschickter an oder fotografiere Lohnenderes.

Wer "wild darauflosknipst" ohne viel nachzudenken, wird heute mehr schlechte Bilder mit nach Hause bringen als in Zeiten des Films, eben weil er mehr fotografiert. Mehr fotografieren führt allerdings nicht kausal zu einem größeren schlechteren Bildanteil. Es gilt wie früher: Schlechte Fotografen produzieren häufiger schlechte Bilder als gute Fotografen.

Die Ironie ist, in der Digitalfotografie ist ein Glückstreffer wahrscheinlicher aufgrund der größeren Bildanzahl. Überlegt fotografiert ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass unter mehreren ähnlichen gut gestalteten Bildern des gleichen Motivs das Bild ist, eines das den Unterschied bedeutet zwischen gut und sehr gut oder hervorragend. Aus diesem Grund fotografierten Profis trotz der höheren Kosten auch früher vom gleichen Motiv sehr viele Bilder oder gar Filme – bei Sport in einer bis zwei Stunden an die hundert Kleinbildfilme je 36 Bilder – und nicht, weil sie auf Zufallstreffer hofften inmitten ansonsten miserabler Bilder.

Begründung: "Da ich nicht gleich nach dem Fotografieren weiß, wie das Bild aussieht, lerne ich, das Resultat vorwegzunehmen"

Ein Knipser knipst heute wie früher wenig systematisch darauf los. Niemand zwingt ihn, das Bild gedanklich vorwegzunehmen. Ein Resultat zu kennen, bedeutet außerdem nicht, dass es deswegen besser sein wird.

Heute erkenne ich Fehler sofort und kann diese gleich korrigieren. Nach allem, was ich über die Lernpsychologie las, fördert es das Lernen erheblich, Fehler sofort zu erkennen und bewusst zu korrigieren. Liegt eine lange Zeitspanne zwischen einem Fehlverhalten und dessen Erkennen, ist die Wahrscheinlichkeit größer, erneut den gleichen Fehler zu begehen. Zwischen dem Fotografieren auf Film und dem fertigen Papierbild oder Dia kann eine Menge Zeit vergehen. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass ich dann nicht einmal mehr weiß, was ich falsch machte. Außerdem ist es unwahrscheinlich, dass ich das gleiche noch einmal unter den gleichen Umständen fotografieren kann.

Weitere Begründungen

Technische Begründungen, die faktisch falsch sind, lasse ich hier weg, beispielsweise, der Film sei qualitativ überlegen oder archivbeständiger. Sollte ich weitere (scheinbar) plausible Begründungen finden, weshalb das Fotografieren mit Film zu besseren Bildern führen soll, ergänze ich diesen Artikel.

Fazit

Wer Freude empfindet, mit Film zu fotografieren, sollte dies. Es kann ebenso Spaß bereiten, wie das Anfertigen von Daguerreotypien, was sicher nur noch wenige praktizieren dürften.

Fotografiere ich digital, lerne ich sofort, wie ich richtig vorgehen soll. Da ich mehr praktiziere, steigere ich meine Fähigkeiten. Der Anfänger kann sich auf die Optimierung seiner Bilder konzentrieren unbeeinflusst von negativen Gedanken über die monetären Kosten seiner Übungen.

Film trägt sicher nicht dazu bei, besser zu fotografieren als mit Digitalkameras. Im Gegenteil, die Bilder werden technisch schlechter sein und in der Regel wird ein fähiger Fotograf so weniger gut gestaltete Bilder erzielen.

Elmar Baumann, 07.07.2012.